20. Juli 2021 Thema: Blog Von Kai Koeser
Am 20. Juli gedenken wir dem deutschen Widerstand gegen das verbrecherische Nazi-Regime. Dabei stehen bundesweit zumeist die Mitglieder der Gruppe um Claus von Stauffenberg im Fokus. Doch es gab immer wieder Menschen, die sich trauten zu widersprechen und Zivilcourage zeigten – auch schon viel früher als 1944, als der Krieg längst verloren schien. An diese kleinen und großen Heldentaten, die viel Mut erforderten, sollten wir uns viel häufiger erinnern.
Am 16. September 1935 wird der Stader Pastor Johann Gerhard Behrens von einem Mob durch die Straßen der Stader Altstadt getrieben. Der Theologe hat zuvor aus seiner Abneigung gegenüber dem Regime keinen Hehl gemacht und dieses immer wieder offen kritisiert. Der “Fall Behrens” ist als dunkles Kapitel in die Kirchengeschichte eingegangen.
Johann Gerhard Behrens wurde 1889 im ostfriesischen Esens geboren. Er studierte Theologie, Astronomie und Kunstgeschichte. Nach dem theologischen Examen zog er 1915 als Soldat in den Ersten Weltkrieg. Nach Vikariat und einer ersten Pfarrstelle in Hittfeld kam Behrens an die Wilhadi-Kirche in Stade. Seine ablehnende Haltung gegen die Nazis zeigte Pastor Behrens offen. Er wandte sich gegen den zunehmenden Antisemitismus, bezeichnete das Nazi-Propaganda-Blatt “Stürmer” als “Schmutzblatt” und predigte gegen die Blut- und Bodenideologie der Nazis. Im Konfirmandenunterricht warnte er die Jugendlichen: “Kinder, Ihr seid verhetzt!” Dafür wurde er wegen “staatsfeindlicher Einstellung” angezeigt.
Am 16. September 1935 wird Pastor Behrens von einem ihm entgegenkommenden Zug aus Männern der SS und SA in der Stader Innenstadt aufgehalten. Diese waren gerade vom Nürnberger Reichsparteitag zurückgekehrt. Von einer johlenden Menschenmenge begleitet trieben die Nazis Behrens durch die Straßen der Altstadt. Um den Hals hängten sie ihm ein Schild mit der Aufschrift “Ich bin ein Judenknecht”. Die Menge beschmipfte ihn als “Volksverräter” und “Judenlümmel”, bespuckten ihn, bewarfen ihn mit Sand, brennenden Zigarren und Zigarrettenstummeln, traten ihn und übergossen ihn mit Wasser. Keiner der 300 Umstehenden kam ihm zu Hilfe. Erst spät schritt der damalige Regierungspräsident Leister ein.
Die Rädelsführer wurden zunächst zu Freiheitsstrafen verurteilt, der Rechtsstaat funktionierte in Teilen noch. Doch der Prozess schlug Wellen bis nach Berlin und so gingen die Täter am Ende strafffrei aus. Auch im Ausland erfuhr der Vorfall große Aufmerksamkeit. Das dürfte Behrens vor schlimmeren bewahrt haben. Er hatte auch im Ausland einen hohen Bekanntheitsgrad als Astronom, angeblich wollte ein Mitarbeiter Albert Einsteins ihn vergeblich zur Auswanderung in die USA überreden. Die Landeskirche versetzte Behrens nach Detern. Dort tat er bis 1957 seinen Dienst als Pastor. Nach Kriegsende kam er mit der NASA in Kontakt und war bis in die 70er Jahre gefragter Berater der US-Raumfahrtbehörde.
1981 wurde das Gemeindehaus neben der Stader Wilhadi-Kirche nach Pastor Behrens benannt. Gegen eine Ehrung des Theologen hatte es lange Widerstände gegeben. Für mich ist Johann Gerhard Behrens ein Vorbild und Beispiel für echte Zivilcourage. In einer seiner letzten Predigten soll er noch gesagt haben: “Das ist mein Beruf (…) nicht, dass ich schweige wie ein ‘stummer Hund’, sondern dass ich meinen Mund auftue zur Bezeugung der Wahrheit.” Er hat nicht geschwiegen und wir dürfen nicht schweigen, wenn andere Opfer werden. Widerstand beginnt mit Solidarität. Manchmal erfordert das viel Mut, immer erfordert das ein waches Auge und ein offenes Herz. Da kann das richtige Wort zur rechten Zeit die gleiche Kraft entfalten wie eine Bombe.
Vielen Dank an Laura Baumgarten, die mich an den Ergebnissen ihrer Recherche hat teilhaben lassen.
Das Leben ist nicht immer gerecht. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, das erlebe ich aber auch tagtäglich als Pflegevater. Darum mache ich Politik, weil die Welt nur besser wird, wenn wir sie besser machen.